Baden-württembergische Gemeinden, Städte und Landkreise haben im letzten Jahr mehr als 180.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine und aus anderen Staaten aufgenommen. Zu Beginn war dies noch getragen durch eine große Bereitschaft der Zivilbevölkerung, dazu Wohnraum und Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Zugleich haben die Kommunen ihre Aufnahmekapazitäten vervielfacht. Doch alle verfügbaren Aufnahme- und Unterkunftskapazitäten sind nun belegt darauf weisen die Kommunen seit vielen Wochen hin. Hinzu kommt die Tatsache, dass auch die personellen und räumlichen Integrationskapazitäten nahezu vollständig erschöpft sind. Das Dilemma zwischen der humanitären Pflicht zur Aufnahme der geflüchteten Menschen und dem, was faktisch ermöglicht werden kann, wird immer größer.
Dazu erklären der Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger, der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim Walter (Tübingen) und der Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (Mannheim):
„Als bürgernächste Ebene ist es leider wiederholt notwendig, dass die Kommunen in ihrer Verantwortung für das Gelingen vor Ort ein klares Signal an die Bundespolitik senden: Es ist dringend notwendig, eine realitätsbezogene Migrations- und Flüchtlingspolitik umzusetzen. Dazu braucht es Gesetzgeber und Regierung, sowie im Besonderen das Bewusstsein der Politik für die angespannte Situation in den Kommunen. Die ‚Stuttgarter Erklärung‘ soll dies deutlich zum Ausdruck bringen.
Die Rückmeldungen aus den Gemeinden, Städten und Landkreisen sind klar: Um auch zukünftig eine verantwortliche Aufnahme und Integration von Ukrainern als auch bei den Asylbewerbern in den Kommunen vor Ort leisten zu können, muss die nationale und die europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine Konsequenz in beide Richtungen – sowohl ein Fördern und Einfordern von Integration der Menschen mit Bleiberecht als auch eine Rückführung der Nicht-Bleibeberechtigen. Dazu bedarf es dringend einer gelebten Solidarität innerhalb Europas auch beim Thema Verteilung.“
„Mit dem Instrument der nationalen Ankunftszentren soll der Bund operativ Verantwortung in der Aufnahme nach Deutschland Geflüchteter übernehmen. Dort könnten die Geflüchtete erkennungsdienstlich behandelt und registriert werden, die Bleibeperspektive von Asylsuchenden im Rahmen eines schnellen Prüfverfahrens überprüft und nur Personen mit Bleibeperspektive an Länder und Kommunen weiterverteilt werden. Dies bedeutet jedoch klar, dass der Bund die Rückführung von Asylsuchenden ohne Bleibeperspektive konsequent rückführen muss und die bilateralen Rückführungsabkommen ausweiten soll.“
Der 12-Punkte-Plan für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik „Konsequenz in beide Richtungen“ schlägt folgende Maßnahmen vor:
Titel | Größe | Datum |
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12-Punkte-Plan für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik [1] | 152.25 KB | 07.03.2023 |
Die Lage der Flüchtlinge in Baden-Württemberg spitzt sich in Baden-Württemberg seit Wochen zu. Zwischenzeitlich sind in Baden-Württemberg insgesamt ca. 140.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine und Asylbegehrende aus anderen Ländern angekommen. Damit ist innerhalb von knapp sechs Monaten seit Beginn des Krieges die Zahl der aufgenommenen Menschen höher als im gesamten Jahr 2015. Gleichzeitig erleben wir vor Ort in den Kommunen, dass die ganze Dimension der Bewältigung dieser Herausforderung – hunderttausende Menschen nicht nur unterzubringen und zu versorgen, sondern auch in Schule und Kita zu integrieren und gesellschaftlich zu integrieren, noch nicht in der Breite der Gesellschaft angekommen ist. Hier werben wir um ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein, dass wir hier in allen staatlichen Ebenen vor einem Kraftakt stehen.
Gemeindetagspräsident Jäger: "Aus unserer Sicht wird eines ganz klar: Wir brauchen kurzfristig einen bundespolitischen Flüchtlingsgipfel mit allen Akteuren. Dabei muss es unter anderem um die nachhaltige Finanzierung der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine sowie die Frage gehen, ob der im Mai beschlossene Rechtskreiswechsel nicht auch eine gewisse Sogwirkung erzeugt, hat im europäischen Vergleich."
Inzwischen ist die gesamte Aufnahmekapazität in der Erstaufnahme des Landes, der Kreise sowie den Städten und Gemeinden erschöpft, sodass in fast allen Landkreisen gemeinsam mit den Städten und Gemeinden die Notunterbringung in Hallen und anderen geeigneten Einrichtungen sowie Zelten und Containern geprüft und vielfach bereits vollzogen werden muss.
Jäger: „Die Unterbringung Geflüchteter wirkt sich ganz konkret auf das Lebensumfeld der örtlichen Bevölkerung aus. Beispielweise müssen wir auf Infrastruktur wie Sporthallen zugreifen, die eigentlich anderen Zwecken dient. Das tut uns als kommunale Verantwortliche in der Seele weh. Dies insbesondere auch deshalb, weil vieles an Sport, Kultur und örtlicher Gemeinschaft während der Pandemie nicht möglich war. Wir sehen aktuell kurzfristig jedoch keine Handlungsalternative, als die vor Krieg geflüchteten Menschen in Baden-Württemberg unterzubringen.“
Im Gespräch mit der Südwest Presse forderte Präsident Steffen Jäger bereits einen Flüchtlingsgipfel. Das Interview findet sich unter https://www.swp.de/baden-wuerttemberg/ukraine-krieg-und-baden-wuerttembe... [2]
Foto: Moni Sertel / pixelio.de
Nach langen und intensiven Verhandlungen haben sich die Kommunalen Landesverbände und die Landesregierung von Baden-Württemberg auf einen „Pakt für Integration“ verständigt.
Ein zentraler Punkt des Pakts ist die Finanzierung von rund 1.000 Integrationsmanagern in den Städten und Gemeinden. Sie sollen die Geflüchteten mit Bleibeperspektive zwei Jahre lang vor Ort individuell dabei unterstützen, vorhandene Integrationsangebote wahrzunehmen und sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Damit können die Städte und Gemeinden ihr Integrationsmanagement vor Ort selbst organisieren und steuern.
Städte und Gemeinden können das Integrationsmanagement aber auch an ihren Landkreis übertragen oder sich mit anderen Kommunen zusammenschließen und ein gemeinsames Integrationsmanagement organisieren. Außerdem kann die Aufgabe des Integrationsmanagements auch an freie Träger übertragen werden.
Bei dem Förderprogramm „Integrationsmanager“ handelt es sich um ein eigenständiges, neues Programm. Das bisherige Förderprogramm „Integrationsbeauftragte“ nach der VwV Integration bleibt daneben bestehen und wird fortgeführt.
Ebenfalls durch den Pakt finanziert werden:
Gemeindetagspräsident Roger Kehle zeigt sich zufrieden über die Einigung, mahnt aber an, dass wir für eine erfolgreiche Integration mehr als zwei Jahre brauchen werden:
"Integration findet vor Ort, in den Städten und Gemeinden statt. Es ist daher gut, dass wir eine Grundlage für strukturierte Integrationsprozesse geschaffen haben. Dabei muss klar sein: Integration ist ein Recht, es beinhaltet aber auch die Pflicht zur Mitwirkung. Wir müssen uns außerdem bewusst machen, dass Integration ein Prozess ist, der sich entwickelt und den wir in nur zwei Jahren nicht erfolgreich schaffen werden.
Der Gemeindetag wird sich deshalb weiter dafür einsetzen, dass der Pakt für Integration verlängert und, wenn notwendig, ausgeweitet wird. Wir brauchen in unseren Städten und Gemeinden stabile Strukturen, um die vielen Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren und die bereits hier lebende Bevölkerung in diesem Prozess mitzunehmen."
Den Wortlaut des Paktes sowie ausführliche Erläuterungen des Gemeindetags finden Sie im Mitgliederbereich [3]zum Download.
Die gemeinsame Pressemitteilung der Landesregierung und der Kommunalen Landesverbände anlässlich der Unterzeichnung des Paktes für Integration finden Sie hier. [4]
Titel | Größe | Datum |
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Pressemitteilung zur Einigung ueber den Pakt für Integration (27.03.2017) [5] | 137.01 KB | 27.03.2017 |
Links
[1] https://www.gemeindetag-bw.de/system/files/downloads_buch/2023_03_07_Stuttgarter%20Erkl%C3%A4rung%20f%C3%BCr%20eine%20realit%C3%A4tsbezogene%20Fl%C3%BCchtlingspolitik%20-%2012-Punkte-Plan-KLV_0.pdf
[2] https://www.swp.de/baden-wuerttemberg/ukraine-krieg-und-baden-wuerttemberg-gemeindetagspraesident-fordert-fluechtlingsgipfel_-_kommunen-stehen-mit-dem-ruecken-zur-wand_-66436629.html
[3] https://www.gemeindetag-bw.de/mitgliederbereich/materialien/allgemeines-zahlen-daten-und-prognosen
[4] https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/land-und-kommunale-landesverbaende-unterzeichnen-pakt-fuer-integration-mit-den-kommunen/
[5] https://www.gemeindetag-bw.de/system/files/downloads_buch/4-PM%20022%20Minister%20Lucha%20und%20Kommunale%20Landesverb%C3%A4nde%20einigen%20sich%20%C3%BCber%20Pakt%20f%C3%BCr%20Integration.pdf